Die Zukunft des (E)Commerce als Game-Changer

Die Pandemie hat den E-Commerce beflügelt. Den gesamten E-Commerce? Grenzüberschreitender E-Commerce und digitaler Lebensmittelhandel als Game-Changer.

Beitrag: Walter Trezek.

Die Pandemie hat das Wachstum des E-Commerce nach Schließungen oder Einschränkungen im stationären Handel weiter beflügelt, davon ausgenommen war der grenzüberschreitende E-Commerce. Vor der Pandemie war der grenzüberschreitende E-Commerce das mit Abstand am schnellsten wachsende Marktsegment mit doppelt so hohen Wachstumsraten wie der inländische E-Commerce. Obwohl die Grenzen innerhalb Europas während der Pandemie weitgehend für Paketdienste offen blieben, lag die Herausforderung in der Einstellung des Flugverkehrs.

Der starke Rückgang des grenzüberschreitenden E-Commerce wurde durch die Postdienste verursacht: Im Gegensatz zu Express- und Paketzustellern waren die Postgesellschaften von Annullierungen der normalerweise für Postsendungen genutzten Passagierflüge betroffen. Die Statistiken des Weltpostvereins (UPU) sprechen eine klare Sprache: der grenzüberschreitende Verkehr zwischen benannten Postbetreibern ist gegenüber 2019 immer noch um ca. 40% zurückgegangen, jener der Express- und Paketzustelldienste stark gestiegen. In der EU wird diese Entwicklung durch neue Regelungen noch verschärft: Während das Import-One-Stop-Shop (IOSS)-Modell für Marktplätze und gewerbliche Paketdienste eine Entlastung zu bieten scheint, sind die Kunden der Postgesellschaften von einer Vielzahl, teils intransparenter, länderspezifischer und oft unerschwinglich hoher Zusatzgebühren, die sich negativ auf das Geschäft auswirken,
betroffen.

Wachstum des digitalen Lebensmitteleinzelhandels, seine Auswirkungen auf E-Commerce, Logistikmodelle und den stationären Handel.
Eine weitere Entwicklung war das starke Wachstum des digitalen Lebensmitteleinzelhandels. Die Lieferung von Lebensmitteln an Endverbraucher und der Ausbau der dazugehörigen Logistikinfrastruktur, für eine schnelle Lieferung, hauptsächlich in städtischen Gebieten, wurde durch Restaurantschließungen weiter stimuliert. Allein in den USA stieg der digitale Lebensmittel- und Getränke- Einzelhandel von 2019 bis 2021 um 2/3 (von 13 auf 21 Milliarden USD). Es wird erwartet, dass der digitale Lebensmitteleinzelhandel das am schnellsten wachsende E-Commerce-Marktsegment bleibt, obwohl der Gesamtanteil des digitalen Lebensmitteleinhandels am gesamten Einzelhandel vergleichsweise gering ist (etwa 5 % in den USA, 2021), sogar weniger als 2 % in Europa.

Neue Herausforderungen für die Geschäftsmodelle der Marktplätze und Zustellung.
Kundenerwartungen wurden durch den marktbeherrschenden online Händler in Europa geprägt. Verbraucher erwarten jetzt von jedem Händler Amazon-Serviceniveau. Dies bleibt eine Herausforderung für viele, insbesondere den stationären Handel, der zunehmen auf online-zu-offline (O2O), besser bekannt als „Omnichannel“, umstellt. Das Kernlogistikprogramm von Amazon – „Prime“ – ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor und hat die Lieferung am nächsten Tag zum Standard gemacht. Die Logistikinfrastruktur von Amazon ist darauf ausgelegt, dieses Serviceniveau kostengünstig zu erfüllen. Außerhalb Chinas konnte kein Wettbewerber mit diesem Modell mithalten. Das derzeitige Geschäftsmodel des E-Commerce ist durch das exponentielle Wachstum des digitalen Lebensmitteleinzelhandels unter Druck geraten.

Die Kundenerwartungen ändern sich: Lieferung am nächsten Tag reicht nicht mehr.
Die Pandemie hat eine sehr interessante Entwicklung ausgelöst: Im Jahr 2020 wuchs der E-Commerce-Umsatz von Amazon um 21 % lag damit deutlich unter dem Marktdurchschnitt von 32 %. Im Gegensatz dazu erzielte Walmart ein Umsatzwachstum von 44%, unter anderem aufgrund der Nutzung seiner Filialen als Mikrologistik-Hubs. In städtischen Gebieten hat Walmart damit begonnen, seine lokal verfügbaren Produkte (30.000 – 140.000 Artikel, die über 90% des gesamten Online-Bestellvolumens abdecken) innerhalb eines Lieferfensters von 2 bis 3 Stunden an Kunden im Umkreis von wenigen Kilometern, um einen Standort zu liefern. Dazu werden entweder eigene Ressourcen oder Zustelldienste auf der letzten Meile genutzt, die dem Modell der Lebensmittellieferdienste folgen. Der stationäre Einzelhandel hat damit die Liefererwartungen der Verbraucher geändert. Bei diesem O2O-Dienstleistungsangebot können Online-Marktakteure, die sich auf ein Logistikmodell ohne dichtes Netz lokaler Mikro-Hubs verlassen, nicht konkurrieren.

Neue Logistikmodelle revolutionieren Kundenerwartungen.
In der Vergangenheit war die Umsetzung des O2O Modells eher einseitig: Während schnell wachsende, erfolgreiche Online-Händler ihre digitalen Ressourcen, Marketingstrategien und Finanzkraft dazu nutzten, Einzelhandelsgeschäfte zu eröffnen oder zu erwerben (oft nur Showrooms), haben klassische stationäre Händler es bisher weitgehend versäumt, digitale Warenwirtschaft und Kundenservice zu implementieren, um ihre Märkte vor ihren reinen Online-Konkurrenten zu schützen.

Das neue O2O-Logistikmodell für den Einzelhandel verändert Kundenerwartungen.
Die Lebensmittellieferung hat jedoch, stark stimuliert durch COVID, ein neues Logistikmodell hervorgebracht: Stark nachgefragte Produkte werden jetzt online im stationären Einzelhandel bestellt und innerhalb von 60 bis 120 Minuten an die Kunden geliefert. Dieses Modell betrifft nicht den Lebensmittelhandel, das Grundsortiment des Einzelhandels von 4.000 bis 15.000 Artikeln ist betroffen.

Digitalisierung verbindet Intra- und Extralogistik.
Die Filialzustellung war noch nie die Herausforderung für den stationären Handel. Doch während die Intralogistik und Filialversorgung für den stationären Handel vollständig digitalisiert und hocheffizient ist, hinken Kundenservice und Convenience bisher hinterher und erfüllen nicht die Kundenerwartungen, die Online-Marktplätze mit ihren B2C-E-Commerce-Extralogistiklösungen versprechen.

Die Kenntnis der lokalen Kundenpräferenzen, verbunden mit einem lokalen Einzugsgebiet, kann der stationäre Handel auf ein hocheffizientes Extralogistikmodell mit Outlets als Micro-Hubs anwenden, das den B2C-Lieferoptionen reiner Online-Player überlegen ist. Durch die gleichzeitige Umwandlung von Outlets in Micro-Hubs ist ihr Wert massiv gestiegen. Outlets sind kein reiner zusätzlicher Vertriebskanal mehr, sondern ein zentraler und unverzichtbarer Bestandteil des Logistikmodells, um stark nachgefragte Waren über bereits bestehende lokale Lieferstrukturen bereitzustellen.

Diese Entwicklung ist in einigen Märkten, z. B. Südostasien, noch weiter fortgeschritten und wurde von Walmart in den USA erfolgreich übernommen, getestet und ausgerollt. Als Reaktion darauf sind große Logistikanbieter und Marktplätze dabei, städtische Mikro-Hub-Infrastrukturen zu übernehmen, oder auch aufzubauen. Sie könnten aber gegenüber dem stationären Handel, der bereits (theoretisch) die Top-Lagen besitzt, im Nachteil sein. (WT)

 

LOGISTIK express Journal 5/2021

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