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Es ist längst höchste Eisenbahn!

Österreich hat freiwillig erklärt, die EU-Klimaziele schon bis 2040 erreichen zu wollen. Warum das unmöglich ist, welche heißen Eisen die Politik endlich schmieden muss, wie es der Branche mit Corona geht und wie es um die Digitalisierung steht, erklärte Mag. Oliver Wagner, Geschäftsführer des Zentralverbandes Spedition & Logistik, im Gespräch mit Logistik express.

Redaktion: Angelika Gabor.

Seit über einem Jahr hat die Corona-Pandemie die Welt im Würgegriff. Ein ständiges Auf und Ab, Lockdowns und Lockerungen, Grenzschließungen und Öffnungen machen den „Reisebüros des Güterverkehrs“ – also den Speditionen – das Leben schwer. Natürlich ist es für alle Branchen eine große Herausforderung, die Krise zu bewältigen. Dessen ist sich auch Wagner bewusst.

„Trotz aller Widrigkeiten ist es gelungen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Teilweise gab es täglich, wenn nicht sogar stündlich Änderungen bei den Grenzübergängen. Der freie Warenverkehr, ein Markenzeichen der Europäischen Union, war und ist zeitweilig einfach nicht gegeben. Zum Glück ist es ein Kerngeschäft der Logistik, solche Aufgaben zu lösen. Insgesamt waren diese Probleme für den Endverbraucher kaum spürbar.“ So habe es besonders nach dem ersten Lockdown Probleme gegeben, die es zu meistern galt. Generell sei ein Umdenken zu bemerken: „Die Industrie überdenkt die Just-in-Time-Konzepte, die Logistikstandorte rücken wieder näher an die Produktion“, so Wagner. Es gilt, Ausfallsicherheit zu erreichen und das geht nun mal besser, wenn die Ersatzteile oder benötigte Bauteile nicht vor verschlossenen Grenzen oder gar auf anderen Kontinenten stehen.

Fahrermangel als Problem?
Schon lange kämpft die Transportbranche mit dem Problem des Fahrermangels. So appellierte auch Ende 2020 Alfred Wolfram, Obmann des Fachverbandes Spedition und Logistik in der Wirtschaftskammer Österreich, an die Politik, die Rahmenbedingungen und das Image für den wichtigsten Partner der Speditionsbranche zu verbessern. Wagner sieht das genauso: „Besonders im ersten Lockdown gab es massive Probleme, weil Flotten und Fahrer aus Osteuropa und anderen Ländern sich natürlich ebenso im Lockdown befanden. Zwar hat sich die Situation gebessert, allerdings führen wir ständige Diskussionen, beispielsweise über Testmöglichkeiten für einpendelnde Fahrer“. Denn schon lange nimmt der Anteil ausländischer LKW-Fahrer in Österreich mangels österreichischen Fahrernachwuchses zu. Fällt Frachtraum weg, hat das natürlich negative Auswirkungen auf die gesamte Logistikkette. „Ein interessanter Nebeneffekt der Situation ist das Bemühen um Fahrerplattformen. Viele Busfahrer besitzen auch den LKW-Führerschein, und durch den Ausfall der Busreisen konnten etliche Busfahrer spontan zum Umstieg bewegt werden, um einen Job zu haben“, so Wagner. Leider sei die Position des Berufskraftfahrers durch die vielen Behinderungen nicht attraktiver geworden. Insgesamt sei die Logistikbranche bezüglich des Personalstandes gut durch die Krise gekommen, wenngleich es im Bereich der Industrielogistik Rückgänge gegeben habe. „Durch den enormen Zuwachs bei Onlinebestellungen hat es natürlich starke Steigerungen bei den Lieferdiensten gegeben. Das nötige Personal wurde auch hier vermehrt durch Branchenwechsler aufgestockt.“

Veränderte Wahrnehmung.
„Noch nie war so sichtbar, was die Logistik leistet, als jetzt“, freut sich Wagner. Durch die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit auch in der Krise fand sich die Branche plötzlich in einer Alltagshelden-Rolle wieder. Durch die Verlagerung vieler Einkäufe in den Onlinehandel wurde die Logistik stärker und – das ist der wesentliche Unterschied –  positiv wahrgenommen. „Durch die starke mediale Aufmerksamkeit wurden wir auch von der Politik vermehrt in Entscheidungen und Konzepte eingebunden. Es wäre wünschenswert, dass das so bleibt“, hofft der Logistikfachmann.

Digitalisierungs-Boost.
Wagner stellt der Branche ein durchaus gutes Zeugnis hinsichtlich der Digitalisierung aus: „Die österreichischen Unternehmen sind sehr high-tec-affin. Das reicht vom genauen Tracking und Liefer-Forecast bis zur automatischen Routen- und Warenstromoptimierung. Beim Besuch unserer Mitglieder sehe ich, dass Artificial Intelligence längst Einzug gehalten hat.“ Da entsprechende Software teuer sei, bestünde aber noch Luft nach oben – insbesondere bei kleineren Unternehmen. „Hier wäre Unterstützung von Seiten der Politik sicher wünschenswert. Eine bessere Steuerung des Verkehrs und der Warenströme wäre auch aus ökologischer Sicht sinnvoll“ stellt Wagner fest.

Mitte April hat Österreich endlich seine Pläne an die EU übermittelt, was mit den uns zustehenden Geldern des Corona-Wiederaufbaufonds geschehen könnte. Gerade noch rechtzeitig, denn mit 30. April endet die Einreichfrist. Insgesamt macht die EU-Kommission 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau locker. Die Aufbau- und Resilienzfazilität (Kernstück von NextGenerationEU, Recovery and Resilience Facility) ist dabei 672,5 Milliarden Euro schwer. Die EU-Mittel sind ausdrücklich dafür gedacht, Klimaschutz, Forschung, Innovation, Krisenfestigkeit und Vorsorge der EU-Volkswirtschaften zu unterstützen. Die 500 Seiten umfassenden Pläne, die nicht öffentlich präsentiert wurden, sehen ein 4,5 Milliarden Euro großes Kuchenstück für uns vor. Knapp die Hälfte davon soll in den Bereich Klimaschutz mit Schwerpunkt Verkehr fließen: Elektrifizierung von Busflotten, emissionsfreie Nutzfahrzeuge, Infrastruktur und auch eine Wasserstoffinitiative. Stolze 542,6 Millionen Euro sind für den Ausbau und die Erneuerung der Schieneninfrastruktur samt Elektrifizierung eingeplant. Weitere Punkte sind unter anderen die Ökologisierung der Industrie, Sanierungsoffensive, Aufstocken des Biodiversitätsfonds, Quantenwissenschaft, Präzisionsmedizin und ein elektronischer Mutterkindpass. Mit 891 Millionen Euro Fördergeld soll der Breitbandausbau vorangetrieben werden.

„Leider hat es im Vorfeld keinen Dialog über die eingereichten Projekte gegeben“, bedauert Wagner. Und das, obwohl die EU explizit die Einbindung von Sozialpartnern, Gebietskörperschaften und Interessensvertretern vorgegeben hat… übrigens soll der Fonds über Geldmarktpapiere und Anleihen der EU-Kommission finanziert werden. Der dazu nötige Beschluss muss zuvor jedoch von allen 27 EU-Staaten ratifiziert werden – Österreich fehlt noch.

Gigaliner als ökologische Alternative?
Wie sieht der Zentralverband das Thema Gigaliner? Wagner: „Das Thema ist medial vermint, es gibt wenig sachliche Diskussion. Wohingegen andere Länder zeigen, wie es funktionieren kann: Deutschland hat die Fahrzeuge getestet, den Test wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Mit dem Ergebnis, dass die 25,25 Meter langen Lkw seit 1. Jänner 2018 dort im Regelverkehr unterwegs sind. Natürlich sind überlange Fahrzeuge im innerstädtischen Verkehr nicht sinnig, aber beispielsweise zwischen zwei Hubs können durch das größere Volumen zwei Lang-LKW die Fracht von drei konventionellen LKW übernehmen, und das ist durchaus sinnvoll.“ Es habe sich in der Testphase auch gezeigt, dass die Sorge um die Verlagerung der Verkehre von der Schiene auf die Straße durch die Zulassung der Gigaliner unbegründet sei. Laut Abschlussbericht der Deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen betragen die Effizienzgewinne und Kraftstoffersparnisse durch den Volums-Vorteil bei optimaler Beladung zwischen 15 und 25 Prozent. Auch die Angst, dass Straßenbeläge und Brücken übermäßig belastest würden, widerlegte der Feldversuch: schließlich blieb die Maximal-Masse gleich, verteilte sich je nach Modell sogar auf mehr Achsen als bei konventionellen LKW, wodurch die Punktbelastung geringer ist. Bezüglich der Sicherheit konnte in der fünfjährigen Versuchsphase keine erhöhte Unfallgefahr festgestellt werden, und auch der Bremsweg ist durch die gleiche Masse vergleichbar lang. In Schweden, Finnland und den Niederlanden gehören die Megatrucks schon länger zum Straßenbild. Im Australischen Outback sind sogar 100 m lange „Road Trains“ mit Schüttgut unterwegs, das ist für Europa natürlich undenkbar.

Baustelle Mobilitätsmasterplan.
Aktuell arbeitet das Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) an der Erarbeitung des Österreichischen Mobilitätsmasterplans 2030, der im zweiten Quartal 2021 präsentiert werden soll. Während die EU sich für das Ziel des CO2-freien Verkehrs bis 2050 Zeit lassen möchte (was angesichts aktueller Emissionswerte durchaus ambitioniert ist), hat Österreich erklärt, schon bis 2040 diese Werte erreichen zu wollen. Sieht man sich die bisher umgesetzten oder geplanten Maßnahmen an, ist dieses Vorhaben wohl zum Scheitern verurteilt. Wagner: „Der Verkehr ist ein großer CO2-Verursacher, sowohl der Güterverkehr als auch der Individualverkehr. Die Logistikbranche ist aus meiner Sicht hier schon weiter in der Entwicklung als der Individualverkehr, aber auch wir werden mit den derzeitigen Maßnahmen dieses Ziel niemals erreichen.“ Untermauert wird seine Ansicht durch die Ergebnisse der Studie zur Ökologisierung des Straßengüterverkehrs, die die Zentrum für Transportwirtschaft und Logistik Schulungs- und Beratungs GmbH im Auftrag des Zentralverbands durchführte. Denn die Corona-Krise wird nicht ewig andauern, in absehbarer Zeit werden die europäische und österreichische Wirtschaft wieder wachsen. Die Folge: ein erwartetes Plus von 49 Prozent beim Straßen-Transportvolumen bis 2040 – das entspricht ohne Maßnahmen 20 Millionen Tonnen mehr Co2 pro Jahr.

Um die EU-Ziele der Klimaneutralität zu erreichen, muss der Straßengüterverkehr effizienter, moderner und ökologischer werden. Und zwar besser gestern als heute. Wagner: „Es ist ein Irrglaube, dass die Verlagerung von der Straße auf die Schiene all unsere Probleme lösen kann. Nicht nur sind die dafür nötigen Kapazitäten unerreichbar, es fehlen auch multimodale Verladeterminals und die Schieneninfrastruktur. Hinzu kommt der Vorrang für den Personenverkehr, und die letzte Meile kann ohnehin nicht über die Schiene abgewickelt werden.“ Bedenkt man, dass der Individualverkehr ein großer CO2-Emittent ist, erscheint der Vorrang für den Personenverkehr durchaus sinnvoll – dessen ist sich der Logistiker durchaus bewusst. „Oder nehmen wir als Beispiel den Brenner Basistunnel (längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt für Personen- und Güterverkehr, Anm.). Das Projekt verzögert sich und verursacht immense Kosten. Aber ohne Zulaufverkehre aus Deutschland ist er aus Sicht der Logistik unnötig.“ Wichtig sei es, jetzt sofort Maßnahmen zu setzten, für die schon Lösungen parat lägen: „Wir müssen jetzt die Weichen für Wasserstofftechnologie setzen und uns ein Beispiel an der Schweiz nehmen.  Auch wenn das dann vielleicht nicht die endgültige technologische Lösung ist, so ist zumindest ein Schritt gesetzt. Vor allem muss der Weg definiert werden, nicht nur das Ziel“, meint Wagner ernst. Laut Studienergebnissen bietet sich der Einsatz sofort verfügbarer Brückentechnologien wie LNG-Antriebe (liquified natural gas, flüssiges Erdgas, Anm.) an, unterstützt durch bessere Aerodynamik, flexiblere Längenmaße und Gewichte.

Utopie und Machbarkeit.
Die Studie besagt, dass aktuell mit den kumulierten Einsparungspotenzialen von Batterieelektrik (-34 %), LNG/flüssiges Erdgas (-17 %), Wasserstoff (-9 %), Ladekapazitätssteigerungen (-4 %), angepassten Fahrverboten (-3 %) sowie Leichtbau und Aerodynamik der Zielwert bis 2030 unerreichbar ist, und auch das Österreichische Null-Emissions-Ziel bis 2040 ist unter den derzeit gegebenen Bedingungen Utopie. Bezüglich des Null-Emissions-Ziels 2050 der EU hingegen stimmen die Ergebnisse vorsichtig optimistisch, durch einen Anstieg der Effekte von Wasserstoff und Batterieelektrik sowie einen Mix an schon heute verfügbaren Technologien könnte es erreichbar sein. „Die Kernkompetenz der Logistikbranche ist, Abläufe so zu gestalten, dass Waren so effizient wie möglich transportiert werden können. Dieses Wissen können und wollen wir auch nützen, um die Umwelteffekte des Straßenverkehrs zu minimieren. Wir brauchen jetzt eine gut geplante Klima-Kehrtwende im Güterverkehr. Ohne den Beitrag der Politik wird das aber nicht gehen“, meint Alexander Friesz, Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik. Er sieht die Regierung, insbesondere die zuständige Verkehrsministerin Leonore Gewessler, dringend in der Pflicht, nachhaltige Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit für die Logistikwirtschaft zu schaffen. „Denn durch die Einführung neuer Technologien, einen Mix unterschiedlicher Antriebsformen, bessere Aerodynamik, den Ausbau der Intermodalität und die Reduktion von Umwegverkehren könnten wir ab sofort sehr viel erreichen“, bekräftigt Friesz. Weitere Vorschläge in Richtung CO2-neutraler Güterverkehr: eine Mautbefreiung klimafreundlicher Fahrzeuge, steuerliche Anreize und Förderungen, eine Anpassung von Fahrverboten, die Zulassung längerer Fahrzeuge und zusätzliche Fahrzeugeinheiten. Friesz: „Autotransporter könnten mit der gleichen Zugmaschine mehr Autos transportieren, aerodynamische Aufbauten den Energieverbrauch stark verringern oder auch Lang-LKW viel Energie und damit Emissionen einsparen.“ So seien in Summe allein hierdurch Emissionsverringerungen im zweistelligen Prozentbereich möglich.

Der Einsatz von Elektrofahrzeugen auf Kurzstrecken birgt ein Einsparungspotenzial von rund einer Million Tonnen CO2-Äquivalent bis 2030, bis 2050 sogar über 3,3 Millionen Tonnen – bei bekannten Nachteilen wie langen Ladezeiten und der Umweltbelastung durch die Batterie in der Erzeugung und Entsorgung.  Zudem müsste viel Geld für den Infrastrukturausbau – Ladestationen, Stromnetz und nachhaltige Stromerzeugung – in die Hand genommen werden. Dass es funktionieren kann, weiß Peter Umundum, Vizepräsident des ZV Spedition & Logistik: „Die Paketdienstleister beweisen, wie rasant sich eine Branche auf neue Herausforderungen einstellen und diese meistern kann, wenn Technologie und Rahmenbedingungen stimmen. Dabei zeigen wir als Branche heute schon, was mit dem Ausbau der E-Flotte in puncto CO2-Einsparung alles möglich ist.“

Für die Langstrecke im Güterverkehr ist Elektromobilität aus heutiger Sicht ungeeignet. Die Hoffnungen ruhen auf Wasserstoffantrieben, wobei es hier hauptsächlich noch an der wirtschaftlichen Herstellung und Speicherung grünen Wasserstoffs hapert. Trotzdem sehen die Studienautoren in diesem Bereich bei entsprechender Forschung und Entwicklung (und Förderung) die Zukunft und ein Einsparungspotenzial von 3,3 Millionen Tonnen Co2-Äquivalent bis zum Jahr 2050 – und schlagen Pilotprojekte für den Schwerverkehr vor. Dieser Meinung ist auch ZV-Vizepräsident Wolfram Senger-Weiss: „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und warten, bis ausschließlich sauberer, grüner Wasserstoff vorhanden ist. Es gilt, jetzt zu handeln und in den kommenden Jahren den Boden für diese Technologien aufzubereiten.“

Klar ist, dass der Hut brennt, der Klimawandel ist kaum noch zu stoppen. Wagner: „Ich wünsche mir endlich klare Signale aus der Politik, mehr Rationalismus und einen Fokus auf die Zukunft sowie dass Entscheidungen auf der Basis von Fakten getroffen werden. Denn uns läuft die Zeit davon.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2021

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