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Ist die Zukunft des europäischen Verkehrs ein Drahtseilakt?

Die europäische Politik ist gefangen zwischen Symbolpolitik, Ideologie und technologieoffenen Ansätzen. Der regulatorische Rahmen wird enger und die Handlungsoptionen wirtschaftlicher Akteure zunehmend begrenzt – die Beteiligten scheinen allmählich die Balance zu verlieren. Diese Entwicklung sieht Ralf Diemer, Geschäftsführer der eFuel Alliance, problematisch und fürchtet um die Erreichung der Klimaziele.

Beitrag: Redaktion.

Das größte Hindernis der Verkehrspolitik ist die schier nicht endende Debatte zwischen Elektrifizierung und synthetischen Kraftstoffen. Während immer wieder verhärtete Meinungen aufeinanderprallen, geht diese Diskussion am wesentlichen Kern der Sache vorbei: einem ambitionierten Klimaschutz.

Keine der Technologien stellt für sich allein genommen den „Königsweg“ dar. Klimaschutz funktioniert nicht, indem man einen Weg einschlägt, die Scheuklappen aufsetzt und losgaloppiert. Die Elektromobilität soll und muss schnell skaliert werden.

Die Umsetzung aber hängt von diversen Faktoren ab: Kosten, Ladeinfrastruktur, Kundenakzeptanz, die Verfügbarkeit erneuerbarer Stromquellen oder von Batterierohstoffen, die neue politische Abhängigkeiten schaffen. Außerdem haben wir allein in Europa über 300 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf der Straße. Hier kann der Einsatz von eFuels die Transformation des Verkehrssektors hin zur Klimaneutralität beschleunigen.

Nur die Nutzung der kombinierten Potenziale wird uns helfen, unsere Klimaziele möglichst zeitnah zu erreichen und zugleich die passenden Lösungen für alle Nutzungsfelder im Verkehr – und in angeschlossenen Sektoren, wie Offroad und Off-highway Anwendungen – anbieten zu können. Wir brauchen ein sowohl-als-auch und kein entweder-oder.

Regulatorischer technologischer Hürdenlauf

Ein künstlich vom Gesetzgeber eingeführter europaweiter technologischer Hürdenlauf verhindert einen Blick über den Tellerrand und konterkariert die Schaffung sowie Nutzung von Synergieeffekten und einer effizienten Sektorenkopplung – dabei sind diese unverzichtbar für das Klima. Die Herausforderungen sind zahlreich und gehen über diese liegen gelassenen Chancen hinaus.

Mit dem Fit-for-55-Paket wirft die EU einen neuen Blick auf das Gros aller Gesetze. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist dieser Schritt absolut richtig. Allerdings ist es wichtig, bei der Überarbeitung der entsprechenden Gesetze technologieoffen zu denken. Technologieverbote sind im Regelfall der falsche Weg. Anreize, möglichst einfache und unbürokratische Regulierungen und ambitionierte Ziele verbunden mit einer möglichst großen Freiheit für die Marktakteure diese zu erreichen, sind der richtige Weg.

Wenn also zum Beispiel bei der Erneuerbare Energien Richtlinie (REDIII) wichtige Unterquoten für Wasserstoff und eFuels nicht ambitioniert genug festgelegt – die eFuel Alliance fordert hier mindestens 5% im Jahr 2030 – oder bürokratische Hürden für den Strombezug und möglichen CO2-Quellen aufgelegt werden, fehlt einem großen Teil des Marktes erstens der so wichtige Planungshorizont und zweitens die noch wichtigere Investitionssicherheit. Versagt die europäische Politik bei dieser Aufgabe, werden der Hochlauf von eFuels und ein konsequenter Klimaschutz unnötig verzögert und ein großes industriepolitisches Potential von über 1,2 Mio. neuen Arbeitsplätzen in Europa simpel außer Acht gelassen.

Handlungsoptionen bereitstellen und sichern

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die deutsche Bundesregierung nun doch zusammengefunden hat und sich für die Verwendung von eFuels bei Bestands- als auch bei Neufahrzeugen auf EU-Ebene einsetzen will. Damit könnten konventionelle Fahrzeuge,
gemeinsam mit Elektrofahrzeugen, die mit erneuerbarem Strom betrieben werden, einen
wesentlichen Beitrag zur Absenkung der CO2-Emissionen im Straßenverkehr leisten. Dasselbe gilt übrigens für die nun ebenfalls zur Entscheidung anstehende CO2-Flottenregulierung von schweren Nutzfahrzeugen.

Gut dreiviertel aller auf dem Landweg beförderten Güter und Waren in der EU werden von Lkw transportiert. Der Schwerlastverkehr bildet damit das Rückgrat des europäischen Handels und ist eine tragende Säule der Resilienz und Prosperität unseres Wirtschaftsraums. Gleichwohl muss auch hier neuen Lösungen zum Durchbruch verholfen werden, schließlich fallen gut 27 % der CO2-Emissionen des Straßenverkehrs auf den Schwerlastverkehr und dieser ist damit für 5 % der Gesamtemissionen in Europa verantwortlich.

Bislang ist seitens der Europäischen Kommission keine Anrechnung von erneuerbaren Kraftstoffen wie eFuels vorgesehen – zum Bedauern von rund 50.000 Transportunternehmen und über 90 Wissenschaftler, die sich mit Hilfe der sie vertretenden Verbände in einem offenen Brief an die Kommission gewandt hat. All diese Unternehmen wollen ihren Beitrag leisten, aber bitte praxisorientiert. Aus diesem Grund wäre es wünschenswert, wenn die EU die Verwendung von eFuels im Schwerlastverkehr als weiteren Technologiepfad zur Senkung der CO2-Emissionen in Betracht ziehen würde. Logistikern und Spediteuren müssen alle Türen offengehalten werden – vordergründig, weil ein Ausschluss einer innovativen und zukunftsträchtigen Technologie die Nettonull 2050 gefährdet.

Die Weichen stellen

Noch fehlen uns die Rahmenbedingungen und damit der Einstieg in eine industrialisierte Produktion von grünem Wasserstoff und eFuels zu wettbewerbsfähigen Preisen, um alle Branchen und Sektoren gleichermaßen in ihrem Hochlauf zu unterstützen. Bei einer entsprechenden Skalierung an Orten an denen erneuerbarer Strom und damit die Produktion besonders günstig sind, sind Literproduktionspreise zwischen ein und zwei Euro bis 2030 erreichbar. Und klar ist auch: Der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA mit einer pragmatischen, technologieoffenen und unbürokratischen Förderung von bis zu 3 $/kg Wasserstoff zeigt, dass die Welt nicht auf die EU wartet, sondern der Wettbewerb um die Investitionen in klimafreundliche Kraftstoffe voll entbrannt ist. Damit die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stehen, ist der Ausbau von eFuels im gesamten Verkehrsbereich entscheidend, da niedrige Kosten nur mit einem entsprechenden Marktvolumen erreicht werden können.

Um die Klimaziele zu realisieren, ist es daher aus unserer Sicht unabdingbar, den Markthochlauf von CO2-freiem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten zügig zu ermöglichen und die notwendigen regulatorischen Anreize schnell zu schaffen. Dabei braucht es eine sinnvolle Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie, die deutlich niedrigere Mindeststeuersätze für nachhaltige Energieträger vorsieht. Hier muss sich vor allem unsere deutsche Vertretung, Bundesfinanzminister Lindner stark machen, da eine Einstimmigkeit im europäischen Rat benötigt wird.

Eine Umstellung der Energiesteuer könnte grünen Wasserstoff mit bis zu 1,5 €/kg gegenüber fossilen Kraftstoffen begünstigen. In Kombination mit der Einführung eines CO2-Emissionshandels im Verkehrssektor, wie vom europäischen Rat und Parlament beschlossen, könnten fast die gleichen Anreize wie im IRA geschaffen werden. Der Streit zwischen E-Mobilität und eFuels muss beendet werden. Nur eine Gleichbehandlung aller Technologien kann uns sicher von einem Ende des Drahtseils zum anderen bringen. Verlaufen wir uns weiter in ideologischen Debatten, verliert nicht nur die EU selbst den Anschluss, sondern noch auch ihren so wichtigen positiven Einfluss auf den Rest der Welt. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Journal 1/2023

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