Rennen um die Vormachtstellung bei KI Übernimmt China die Führung?
China will bis 2030 im Bereich Künstliche Intelligenz führend werden. Gründe dafür sind wirtschaftliche und nationale Sicherheitsinteressen. Aufgrund der (noch) geringen Löhne hat das Land riesige Vorteile gegenüber Wettbewerbern wie den USA. Bereits jetzt stellt der Export von KI-Überwachungstechnologie eine Herausforderung dar.
Redaktion: Dirk Ruppik.
Bereits in 2017 hat der chinesische Staatsrat den „Next Generation Artificial Intelligence Development Plan“ veröffentlicht. Er skizziert den Weg Chinas zum ersten globalen Innovationszentrum für Künstliche Intelligenz (KI) in 2030. Die KI-Kernindustrie soll dann laut dem amerikanischen Time Magazin einen Wert von 148 Milliarden US-Dollar erreichen, zugehörige Industriebereiche den zehnfachen Wert. Der russische Präsident Vladimir Putin sagte im gleichen Jahr: „Wer auch immer der Technologieführer in diesem Bereich wird, wird die Welt regieren.“
Der Direktor des „Digital and Cyberspace Policy Program“ beim Rat für ausländische Beziehungen in New York nennt die bedeutenden wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen als Gründe für die extreme Motivation Chinas Technologieführer in KI zu werden. „Der Nahe Osten besitzt enorm viel Öl, China dagegen kann das globale Zentrum für KI-Daten werden“, sagte Sheng Hua, Geschäftsführer der Mengdong Technology Ltd., der für Firmen wie Baidu, JD.com und Alibaba arbeitet.
Gemäß dem Unternehmen hat China aufgrund der geringen Löhne riesige Vorteile gegenüber Wettbewerbern wie den USA. Das Land besitzt bereits seit 2018 eine Schule für KI, die von der „University of the Chinese Academy of Sciences (UCAS)“ ins Leben gerufen wurde. Auch KI-Lehrbücher für Schüler werden bereits in Schulen ausgehändigt. Im Wissenschafts- und Technologiepark Bainiaohe Digital Town 50 km von der Hauptstadt von Guizhou Guiyang arbeiten unablässig hunderte Berufsschul-Studenten, um Fotos zu kennzeichnen und Sprache zu analysieren. Die generierten Daten werden dann für Projekte im Bereich Gesichts- und Spracherkennung sowie autonomen Fahren genutzt. Auch Mengdong ist in der digitalen Stadt beheimatet. Im berg- und wasserkraftreichen Guiyang befinden sich die Datenzentren und -server der drei größten Telekomunternehmen sowie Foxconn und Apple.
Strategie: Next Generation Artificial Intelligence Development Plan.
Im „Next Generation Artificial Intelligence Development Plan“ werden auch die Herausforderungen bei der Entwicklung von KI genannt: „Die Unsicherheiten bei der Entwicklung von KI bringen neue Herausforderungen. KI ist eine umwälzende Technologie, die die Regierungsgeschäfte, wirtschaftliche Sicherheit sowie soziale Stabilität und selbst die Weltordnungspolitik beeinflussen kann. Dies kann zu Problemen bei der Veränderung der Beschäftigungsstruktur führen, die Gesetzgebung und Sozialethik beeinflussen, die Privatsphäre verletzen und die internationalen Beziehungen herausfordern. Während wir energisch KI entwickeln, müssen wir großen Wert auf die Vermeidung von möglichen Sicherheitsrisiken legen, die Vorsorge verstärken, die Risiken minimieren und die sichere, verlässliche und kontrollierte Entwicklung der Technologie gewährleisten.“
Die Regierung des Landes der Mitte erwartet, dass Unternehmen und Forschungseinrichtungen bereits in 2020 auf dem gleichen Niveau wie führenden KI-Länder – namentlich die USA – sein wird. Schon fünf Jahre später sollen große Durchbrüche bei ausgewählten KI-Technologien erreicht werden. Diese sollen den Antrieb für die wirtschaftliche Transformation liefern. Im Finalstadium in 2030 will China das weltweit führende KI-Innovationszentrum sein, wodurch die eigene Rolle als wirtschaftliche Großmacht gestärkt werden soll. Im „Three-Year Action Plan for Promoting Development of a New Generation Artificial Intelligence Industry (2018–2020)“ werden laut New America (Washington) die Maßnahmen in diesem Zeitraum genauer beschrieben. Zunächst soll die Entwicklung intelligenter Produkte wie vernetzte Fahrzeuge, intelligente Service-Roboter und Videobild-Erkennungssysteme vorangetrieben werden. Bei den „Kerngrundlagen“ sollen technologische Durchbrüche im Bereich Netzwerk-Chips, intelligente Fertigung und 5G-Internet erreicht werden. Der gesamte Bereich wird durch das Ministry of Industry and Information Technology (MIIT) beaufsichtigt. Der Plan fokussiert im Kern auf die tiefgehende Integration von IT und Fertigungstechnologie in Verbindung mit neuartiger KI-Technik, um China schnell in einer Großmacht im Bereich Fertigung und Internet zu transformieren.
Muss die Welt Chinas KI-Dominanz fürchten?
Tom Mitchell, Professor für Computer Science an der Carnegie Mellon University, meint, dass die USA zwar mehr Erfahrung beim Aufbau von Technologieunternehmen hat, doch China bei KI-Anwendungen, die auf Big Data basieren, vorne liegt. Wenn das Land z. B. entscheidet, landesweite medizinische Daten zu erheben, dann wird das umgehend durchgeführt. In den USA und anderen Ländern entstehen sofort Bedenken über die Privatsphäre.
Die Trump-Regierung hat laut BBC News als Antwort auf „unfaire Methoden“, Tarife auf chinesische Produkte im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar erhoben. Darauf sind die chinesischen Investitionen in den USA in 2018 auf das niedrigste Niveau seit 2011 gefallen und betrugen nur 4,8 Milliarden US-Dollar (4,3 Milliarden Euro). Währenddessen sank das US-Investment in China um eine Milliarde auf 13 Milliarden US-Dollar (11,7 Milliarden Euro). Hochkarätige chinesische Unternehmen wie das Versicherungsunternehmen Anbang und die Kai-Fu Lee’s Sinovation Ventures haben ihre US-Dependancen verkleinert.
Huawei und ZTE verzeichneten aufgrund des US-Banns große Verluste. Sowohl amerikanische Universitäten als auch Unternehmen sind vorsichtiger geworden und überdenken ihre Beziehungen zu China. Prof. Mitchell denkt, dass Entscheidungsträger zwischen AI-Applikationen unterscheiden müssen, die einen gegenseitigen Gewinn darstellen, und Anwendungen, die wirklich konfliktbelastet sind, wie z. B. im Militärbereich. Der US-Beamte Dr. Christopher Ashley Ford, Assistant Secretary Bureau of International Security and Nonproliferation, hält die chinesischen Technologie-Unternehmen faktisch für Instrumente der Kommunistischen Partei. Diese sind mittlerweile tief in das Pekinger System der Unterdrückung im Lande verstrickt und entwickeln zunehmend weltweite aggressive strategische Ambitionen.
Export von KI-Überwachungstechnologie.
Ende Dezember berichtete die Nikkei Asian Review, dass chinesische Unternehmen laut eines Berichts der „Carnegie Endowment for International Peace“ intelligente Überwachungstechnologie in über 60 Länder exportiert haben – darunter der Iran, Myanmar, Venezuela, Zimbabwe und andere Länder mit schlechten Menschenrechtsbilanzen. Im Carnegie-Bericht wird das Land der Mitte als weltweiter Treiber für „autoritäre Technologie“ bezeichnet. Autoritäre Regime könnten die Technologie nutzen, um ihre Macht auszuweiten und auch Daten ins Land zurückzusenden. Firmen wie Huawei, Hikvision, Dahua und ZTE lieferten die Überwachungstechnologie in 63 Länder. 36 dieser Länder sind Teil des chinesischen „One Belt, One Road (OBOR)“-Projekts.
Huawei Technologies Co., eines der führenden Unternehmen beim 5G-Internet, ist für den Export von KI-Überwachungstechnologie in mindestens 50 Länder verantwortlich. Dennoch sind auch andere Länder wie Japan am Export dieser Technologie beteiligt, so z. B. Japans NEC Corp.. Das Unternehmen lieferte die Überwachungstechnologie in 14 Länder, die amerikanische IBM Corp. in elf Länder. Frankreich, Deutschland und Israel spielen ebenso eine große Rolle in der Ausbreitung dieser Technologie. (DR)
Anmerkung: AI (Abkürzung für „Artificial Intelligence“) ist das englische Wort für das deutsche Wort KI (= „künstliche Intelligenz“).
Quelle: LOGISTIK express Journal 2/2020