Vom Risiko zur Chance – Handel mit der Türkei und dem arabischen Raum

Die politischen Turbulenzen in Vorderasien und im Mittleren Osten haben die Compliance-Herausforderungen beim Export in diesen Wirtschaftsraum enorm in die Höhe geschraubt. Mit IT-Unterstützung lassen sich die Risiken jedoch gut managen.

Redaktion: Arne Mielken.

Bürgerkrieg in Syrien, Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien, Schlagabtausch zwischen den USA und dem Iran im Irak und in Syrien, iranischen Angriffe auf Schiffe in der Strasse von Hormoz und auf eine Ölraffinerie in Saudi-Arabien, Stellvertreterkrieg im Jemen – alle diese Ereignisse sprechen gegen Exporte in diese Region.

Tor zum Mittleren Osten.
Der Handel mit der Türkei leidet zudem unter der schrumpfenden Wirtschaftsleistung, der hohen Inflationsrate, hohen Zinsen und dem Wertverlust der türkischen Währung. Produkte aus Deutschland und Österreich sind dadurch z.T. sehr teuer geworden. Die Euphorie nach Abschluss der Zollunion zwischen der EU und der Türkei im Jahr 1996 ist längst verflogen. Trotzdem schätzen Experten die mittel- bis langfristigen Exportchancen für deutsche und österreichische Unternehmen in der Türkei als gut ein.

Das Land mit über 80 Mio. Einwohnern hat eine junge, recht gut ausgebildete Bevölkerung und vor allem viele unternehmerisch denkende Menschen, die die Möglichkeiten, die sich der Türkei als Tor zum Mittleren Osten und zu den Stan-Ländern bieten, kreativ ausschöpfen. Im konsumfreudigen Mittelstand wächst zu dem die Nachfrage nach Qualitätsprodukten und -dienstleistungen. In Industrie und Handel sind innovative Technologien (Maschinen, IT, Infrastruktur, Transportwesen, Medizintechnik) gesucht.  Die EU ist mit Abstand der grösste Exportmarkt der Türkei (mit rund 50 Prozent), während die Türkei der fünftgrösste Import- und Exportmarkt der EU ist.

Chancen in Arabien.
Der niedrige Ölpreis und die politische Instabilität in der Region haben zahlreiche Investitionsvorhaben im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel im letzten Jahr ausbremst. Trotzdem werden die Exportchancen für deutsche und österreichische Unternehmen z.B. in Saudi-Arabien mittel- und langfristig mit gut beurteilt. Dazu beigetragen haben u.a. die internen Reformen im Rahmen der „Saudi Vision 2030“.

Saudi-Arabien ist ein interessanter Absatzmarkt.
für Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge, chemische, elektrotechnische, feinmechanische und optische Er¬zeug¬nisse, Pharmaprodukte, Luxusgüter und Lebensmittel. Als problematisch gelten Rüstungsexporte, insbesondere nach dem Mord an dem Journalisten Kashoggi. Noch bedeutsamer sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) als Absatzmarkt für Flugzeuge, PKW, Maschinen sowie elektrotechnische und chemische Erzeugnisse. Auch als Knotenpunkt für den Handel und den Transport nach Ostafrika und den indischen Subkontinent sind die VAE nicht zu unterschätzen.

Der Handel mit dem Irak, Syrien und Jemen ist sehr intransparent und bewegt sich kriegsbedingt seit Jahren auf sehr niedrigem Niveau. Hoffnungen für einen Aufschwung verbinden sich immer mal wieder mit Grossprojekten, wie den Bau neuer Raffinerien und einer Ölpipeline von Basra nach Aqaba. In wieweit sich diese realisieren lassen, bleibt abzuwarten.

Zollunion, aber kein modernes Assoziierungsabkommen.
Das seit 1996 bestehende Abkommen der Türkei mit der EU sichert den freien Warenverkehr (keine Ein- und Ausfuhrzölle und Beschränkungen) für Industriegüter und bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse. Darüber hinaus wird durch die Zollunion ein gemeinsamer Außenzolltarif für diese Waren festgelegt und die Angleichung des Zollrechts, der Handelspolitik und einiger damit verbundene Wirtschaftsgesetzgebungen sichergestellt. Allerdings sehen sich Exporteure seit 2011 immer häufiger mit neuen Importbestimmungen, sich ändernden Einfuhrkontrollen, Dumping-, Zusatz-, und Ausgleichszöllen sowie schwierigen Registrierungs- und Dokumentationspflichten konfrontiert. Dazu gehören auch Ursprungsnachweise in Form eines IHK-Ursprungszeugnisses, einer Lieferantenerklärung oder einer sog. Exporter’s Declaration. Die im Dezember 2016 begonnen Verhandlungen über eine Modernisierung des Handelsabkommens – analog den Assoziierungsabkommen mit Japan, Kanada und Mexiko – liegen seit Juni 2018 aus diversen politischen Gründen auf Eis.

Abkommen, aber kein Freihandel.
Mit Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait, Katar, Oman und den VAE, den Mitgliedern des Golfkooperationsrates – GKR (Gulf Co-operation Council – GCC), hat die EU 1989 ein Kooperationsabkommen abgeschlossen. Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (FHA) wurden 2008 seitens des GKR ausgesetzt und bisher nicht wieder aufgenommen. Der GKR hat allerdings inzwischen ein FHA mit der EFTA und Singapur unterzeichnet. 2014 strich die EU den Mitgliedern des GKR die Zollvergünstigungen für Entwicklungsländer.

Bedeutsam für deutsche und österreichische Exporteure ist der einheitliche Aussenzollsatz im 2008 vom GKR etablierten gemeinsamen Markt (Gulf Common Market-GCM), der für die meisten Waren 5% beträgt. Der Warenhandel innerhalb des GCM ist zollfrei. Zollanmeldung und Abgabenerhebung werden grundsätzlich in dem Mitgliedstaat durchgeführt, in dem die einzuführende Ware erstmals das Zollgebiet der Zollunion erreicht. Bei der anschliessenden Weiterversendung innerhalb der Zollunion sind in der Regel keine weiteren Zollmassnahmen (Abfertigung, Abgaben) erforderlich. Im Exportland innerhalb des GCM ist lediglich eine Erklärung für statistische Zwecke auszufüllen, die beim Import in einen anderen GKR-Staat vorgelegt werden muss. Die Zollanmeldungen im Emirat Dubai müssen elektronisch abgegeben werden. Für die Wareneinfuhr in die VAE ist ausserdem eine Legalisierung der von der zuständigen IHK/Wirtschaftskammer bescheinigten Ursprungszeugnisse und Handelsrechnungen durch die Konsularabteilung der Botschaft der VAE erforderlich.

Sanktionsbestimmungen beachten.
Mit dem Irak besteht seit dem 1. August 2018 ein nichtpräferenzielles Handelsabkommen, das (auch wenn der Irak noch kein Mitglied der WTO ist) die grundlegenden WTO-Regeln sowie einige wichtige Präferenzklauseln (insbesondere in Bezug auf das öffentliche Beschaffungswesen, Dienstleistungen und Investitionen) enthält. Mit dem Jemen wurde bereits 1998 ein nicht-präferenzielles Kooperationsabkommen abgeschlossen. Beide Länder unterliegen Exportverboten in Bezug auf Rüstungs- und bestimmten Dual-Use-Güter sowie Finanzkontrollen. Die EU-Mitgliedstaaten sind angehalten alle Ladungen auf dem Weg nach dem Jemen bei Verdacht einer verbotenen Sendung zu kontrollieren und verbotene Lieferungen zu beschlagnahmen und zu entsorgen. Ein Waffenexportverbot gilt auch für den Libanon.

Der Handel mit Syrien unterliegt seit Beginn des Bürgerkriegs umfangreichen Sanktionsbestimmungen seitens der EU, aber auch der USA. Diese umfassen nicht nur Öl- und Ölprodukte sowie Ausrüstung für die Öl- und Gasindustrie, Kraftwerke, Rüstungsgüter, Flugzeugteile, sondern auch Luxusgüter, Maschinen und diverse andere Waren. Unternehmen, die mit US-Firmen Handel betreiben, sollten sich besonders genau über die Sanktionsbeschränkungen informieren. Das 1977 abgeschlossene Kooperationsabkommen zwischen der EU und Syrien wurde 2011 respektive 2012 teilweise suspendiert. Die Unterzeichnung eines 2008 ausgehandeltes Assoziierungsabkommen liegt aus politischen Gründen auf Eis.

Risiken mit IT-Lösung vermeiden.
KMU können sich bei ihrer Handels- respektive Wirtschaftskammer über die aktuellen Bestimmungen im Handel mit der Türkei und dem arabischen Raum informieren. Bei grösseren Warenvolumina und in Anbetracht der volatilen und komplexen Im- und Exportbestimmungen empfiehlt es sich jedoch, eine SaaS IT-Lösungen mit kontinuierlich aktualisierter Datenbank einzusetzen. Mit IT-Unterstützung lassen sich multinationale Sanktionslistenprüfungen, Lieferantenerklärungen, komplexe Ursprungsregeln und allfällige Risiken relativ einfach managen, ebenso die Suche nach der richtigen Zolltarifnummer und Exportkontroll-Güterlistennummer. Innovative, ausgefeilte Systeme informieren Unternehmen ausserdem, welche Vorschriften bei der Ausfuhr aus Deutschland/Österreich und der Einfuhr in das Bestimmungsland zu beachten, welche Dokumente notwendig und wie hoch die Zoll- und Mehrwertsteuersätze sind.

Sie zeigen dem Nutzer, wo für ihn als Industrie- und Handelsunternehmen oder Logistikdienstleister Risiken bestehen. Und sie dokumentieren firmeninterne Exportkontrollen für Behördennachfragen. Mit einer solchen Management-Software können Exporteure durch die Automatisierung ressourcenintensiver Schritte die Zeit für die Qualifizierung von Waren deutlich reduzieren: Einholung von Lieferanteninformationen, Einhaltung der Ursprungsregeln und Analyse der Stücklisten (Bill of Material/BOM). So können Verwaltungskosten gesenkt, Zölle und Transportkosten minimiert werden. Auch die Compliance wird verbessert. Da falsche oder nicht gerechtfertigte Ursprungsangaben auf präferenziellen Ursprungsnachweisen nicht nur wirtschaftliche Einbussen zur Folge haben, sondern auch strafrechtliche Zollverfahren für den Exporteur und den Empfänger auslösen können, sollten Firmen alle Prozesse automatisch, auditierbar dokumentieren.

Fazit:
Der Export in die Türkei und den arabischen Raum ist in den letzten Jahren schwieriger geworden. Neben zolltariflichen und nicht-tarifären Hürden und Hemmnissen ist die Geschäftskultur eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. So fliessen in diesen Ländern kulturelle und religiöse Regeln viel stärker ins Geschäftsleben ein, als das in westeuropäischen Staaten der Fall ist. Doch für den Maschinen- und Anlagenbau sowie die Automotive- und Pharmaindustrie bieten sich durchaus lukrative Chancen. Ein gutes, IT-gestütztes Trade Compliance-Management erlaubt Unternehmen trotz Risiken, Chancen in diesem Wirtschaftsraum voll auszuschöpfen.
(AM)

 

E-Magazin Archiv: LOGISTIK express Journal 1/2020  https://epaper.logistik-express.com/
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